Wenn es ums Wickeln geht, greifen viele Eltern automatisch zu Wegwerfwindeln. Sie sind praktisch, schnell und absorbieren immer mehr. Doch es gibt eine Alternative, die zeitliche und nachhaltige Erwartungen herausfordert: Stoffwindeln. In unserer letzten Episode von 1000Deeg haben wir mit Anouk Wagner gesprochen, Expertin bei der Initiative Liewensufank, um herauszufinden, was Stoffwindeln so besonders macht – und warum sie gleichzeitig immer noch skeptisch betrachtet werden.
Anouk Wagner ist Expertin bei der Initiative Liewensufank, die auch individuelle Stoffwindelberatungen anbietet. Eltern können dort praktische Tipps, Informationen zu verschiedenen Systemen und Unterstützung für den Alltag erhalten.
Anouk hat bei ihrem zweiten Kind auf Stoffwindeln umgestellt. Nicht als bewusste Entscheidung im Voraus, sondern weil ein gesundheitliches Problem keine andere Wahl ließ. „Bei meiner Tochter war die Haut so empfindlich, dass sie nur eine einzige Marke von Wegwerfwindeln vertragen hat. Als diese dann für ein paar Wochen nicht verfügbar war, war das für uns der Moment zu sagen: Wir probieren jetzt Stoffwindeln aus.“ Was als Notlösung begann, wurde für die Familie eine Offenbarung.
Trotzdem war nicht jeder sofort überzeugt. „Mein Mann ist immer noch skeptisch und bevorzugt Wegwerfwindeln, weil er sie praktisch findet und meint, sie seien in unserem hektischen Alltag einfacher zu handhaben“, erklärt Anouk. „Es hat eine Weile gedauert, bis wir als Familie einen gemeinsamen Nenner gefunden haben. Wir haben gelernt, dass es okay ist, wenn nicht alles perfekt ist.“
Welche Vorteile haben Stoffwindeln?
Stoffwindeln gibt es seit Jahrzehnten auf dem Markt, aber mit modernen Designs und innovativen Materialien sind sie heute so praktisch wie nie zuvor. Sie schonen nicht nur die Umwelt – indem sie Abfall reduzieren – sondern sind auch besser für die Haut des Kindes. „Wegwerfwindeln enthalten oft Chemikalien, die die Haut reizen können, und absorbieren so viel Flüssigkeit, dass die Kinder nicht einmal merken, wenn sie Pipi gemacht haben. Mit Stoffwindeln sehen Kinder direkt, was passiert. Das schafft ein gewisses Bewusstsein für ihren Körper“, erklärt Anouk.
Die Kombination aus Bewusstsein und Praktikabilität klingt verlockend. Doch die Frage bleibt: Warum nutzen nicht alle Eltern diese Alternative?
Herausforderungen im Alltag
„Ich denke, das größte Hindernis ist der Mythos, dass Stoffwindeln zu viel Arbeit machen oder oft als nostalgische oder unpraktische Lösung angesehen werden“, sagt Anouk. „Das ist etwas, das uns auch von der älteren Generation vermittelt wurde. Aber die Realität ist, dass man heute mit etwa 25 Windeln auskommt und alle drei Tage eine Maschine waschen muss.“
Natürlich bedeutet das einen zusätzlichen Schritt im Alltag, und nicht jede Familie sieht sich in der Lage, diese Zeit aufzubringen. Die Wahl für Stoffwindeln erfordert Engagement und ein gewisses Maß an Organisation. Es ist keine Option, das Wickeln schnell-schnell zu erledigen. „Aber genau das kann eine Stärke sein“, betont Anouk. „Die Zeit, die man dem Kind widmet, schafft eine intime Verbindung. Es ist eine Zeit der Ruhe, des Augenkontakts und des Bewusstseins – etwas, das im hektischen Alltag leicht verloren geht.“
Umwelt und Gesellschaft
Auch wenn Stoffwindeln einen positiven Einfluss auf die Umwelt haben, ist ihre Einführung nicht selbstverständlich. Anouk erklärt: „Unsere Gesellschaft ist auf Komfort ausgerichtet. Alles, was mehr Aufwand erfordert, wird oft als unpraktisch abgestempelt.“ Hinzu kommen finanzielle Barrieren: Die Anfangsinvestition für Stoffwindeln ist höher, obwohl sie langfristig günstiger sind. „Hier müsste die Politik eingreifen – mit finanziellen Anreizen oder Informationskampagnen, um die Vorteile zu fördern.“
Eine Frage des Bewusstseins
Im Gespräch mit Anouk wurde klar: Stoffwindeln sind nicht für jeden geeignet, aber sie bieten einen Weg, über den eigenen Konsum nachzudenken und Alternativen auszuprobieren. „Es geht nicht darum, alle Eltern zu überzeugen. Aber ich denke, wir sollten alle einen Schritt zurücktreten und uns fragen: Welche Auswirkungen hat unsere Entscheidung auf die Zukunft unserer Kinder und auf die Welt, in der sie groß werden?“
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