EP31: Adoption, Resilienz und Psychomotorik
- Maxi Pesch
- 23. Jan.
- 3 Min. Lesezeit
Vertrauen und Bindung: Adoption und Psychomotorik
Was braucht es, um Vertrauen wieder aufzubauen, wenn ein Kind bereits früh eine tiefgreifende Trennung erlebt hat? Diese zentrale Frage steht im Fokus der Arbeit von Mireille Donny, Psychomotorikerin beim Roten Kreuz, die täglich mit Adoptivfamilien arbeitet. Adoptivkinder werden oft als „unglaubliche Überlebenskünstler“ beschrieben – widerstandsfähige Wesen, die trotz traumatischer Erfahrungen einen neuen Ankerpunkt in ihrer Adoptivfamilie suchen.
Dieser Prozess basiert laut Mireille Donny maßgeblich auf der Bindungstheorie, die erklärt, wie Vertrauen und Beziehungen entstehen. Viele dieser Kinder haben früh erlebt, dass das Vertrauen zu einer Bezugsperson gebrochen wurde. Sie kommen daher mit einer „sensorischen Erinnerung“ an diese Trennungen in ihre neue Familie, was ihre Fähigkeit beeinflussen kann, erneut Bindungen einzugehen.

Ein anderer Ansatz in der Psychomotorik
Der psychomotorische Ansatz von Mireille Donny unterscheidet sich dadurch, dass der Fokus auf der Stärkung der Bindung zwischen Kind und Eltern liegt. Im Gegensatz zu klassischen Therapien, die sich nur auf das Kind konzentrieren, betont sie die aktive Einbindung der Eltern. „Das Ziel ist es, die Bindung des Kindes zu seinen Eltern zu fördern und nicht zum Therapeuten“, erklärt sie.
Die vorgeschlagenen Aktivitäten, wie psychomotorische Parcours oder strukturierte Spiele, ermöglichen es den Eltern, liebevolle Grenzen zu setzen und gleichzeitig eine beruhigende Vorhersehbarkeit für das Kind zu schaffen. Diese einfachen Maßnahmen – wie das klare Ankündigen des Beginns und Endes eines Spiels oder das Begrenzen der Wahlmöglichkeiten – schaffen ein Gefühl von Sicherheit.
Der Bindungsprozess: Ein Weg in mehreren Etappen
Laut Mireille Donny durchläuft der Bindungsprozess bei Adoptivkindern mehrere wichtige Phasen:
Der Schock des ersten Treffens: Ein oft überwältigender Moment, in dem sich Kind und Eltern zum ersten Mal kennenlernen.
Die Phase der Annäherung: Eine Zeit, in der das Kind lernt, den neuen Bezugspersonen zu vertrauen.
Die Anpassung an das Familienleben: Das Kind beginnt, die Dynamiken der neuen Familie zu verstehen und zu integrieren.
Die eigentliche Bindung: Eine tiefere Phase, in der echtes Vertrauen und Sicherheit entstehen.
Diese Etappen helfen den Eltern, die emotionalen Bedürfnisse ihres Kindes besser zu verstehen und sich an dessen Tempo anzupassen.
Was Eltern konkret tun können
Mireille Donny gibt mehrere praktische Tipps für Eltern:
Aktive Teilnahme an den Sitzungen: Eltern sollten während der Aktivitäten präsent und aktiv eingebunden sein, um die Bindung zu ihrem Kind zu stärken.
Setzen von liebevollen Grenzen: Klare, aber beruhigende Grenzen helfen dem Kind, sich sicher zu fühlen.
Vorhersehbarkeit schaffen: Zum Beispiel den Beginn und das Ende einer Aktivität klar ankündigen oder die Auswahlmöglichkeiten für das Kind begrenzen.
Verständnis und Anpassung: Eltern sollten ihre Erwartungen anpassen und erkennen, dass Adoptivkinder oft mehr Zeit benötigen, um Bindungen aufzubauen.
Unterstützung im Alltag: Die Anwendung dieser Werkzeuge im täglichen Leben kann dem Kind ein stabiles und beruhigendes Umfeld bieten.
Das Kind auf zukünftige Ereignisse vorbereiten: Das Verwenden von Rollenspielen, um stressige Situationen wie eine Reise oder die Ankunft eines neuen Familienmitglieds zu simulieren, kann dem Kind helfen, diese Übergänge besser zu verstehen und zu bewältigen.
Die Herausforderungen für Adoptivkinder
Mireille Donny erklärt, dass Adoptivkinder oft Verhaltensweisen wie frühe Eigenständigkeit oder Kontrollstrategien entwickeln, um mit ihrer Vergangenheit umzugehen. Manche Kinder treffen Entscheidungen, um sich selbst zu schützen, da sie gelernt haben, Erwachsenen nicht immer vertrauen zu können. Diese Strategien, die in ihrer früheren Umgebung hilfreich waren, müssen jedoch schrittweise an die neue familiäre Realität angepasst werden. Eltern müssen geduldig sein und ihren Kindern zeigen, dass sie Kontrolle abgeben und Vertrauen aufbauen können.
Die emotionale Belastung für Eltern
Der Bindungsprozess ist wechselseitig. Auch Eltern müssen lernen, geduldig und flexibel zu sein und ihre Erwartungen anzupassen. Ein Adoptivkind willkommen zu heißen, bedeutet oft, vorgefasste Vorstellungen zu überdenken – etwa zu verstehen, dass manche Kinder nicht sofort bereit sind, Zuneigung anzunehmen.
Mireille Donny betont, dass dieser Ansatz ein empfindliches Gleichgewicht zwischen Struktur und Flexibilität erfordert. Eltern müssen auch an ihrem eigenen Sicherheitsgefühl arbeiten, um dieses an ihr Kind weitergeben zu können.
Eine universelle Lektion
Die Lehren aus der Adoption und der Bindungstheorie gehen weit über diesen spezifischen Kontext hinaus. Sie erinnern uns daran, dass das Schaffen von vertrauensvollen Beziehungen auf Zuhören, Empathie und der Erfüllung der Bedürfnisse des Gegenübers beruht – Prinzipien, die auf alle menschlichen Beziehungen anwendbar sind.
Diese Überlegungen laden dazu ein, sich zu fragen: Wie können wir in unserem Leben Räume des Vertrauens und der Sicherheit für andere schaffen? Indem wir uns von den Beziehungen in Adoptivfamilien inspirieren lassen, könnten wir viel darüber lernen, wie man liebt und für andere sorgt.
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